Klänge im Kopf
Etwa zwischen meinem 11. und 12. Geburtstag fiel mir auf, dass ich immer „eigene“ Klänge in meinem Kopf hatte. Gehörtes wurde weitergesponnen, entwickelte sich, wurde etwas völlig Neues. Ich begann, eigene Stücke aufzuschreiben. 1982 begann ich mit einer (zum Glück) nie beendeten Oper über die Odyssee, ein gigantomanisches Projekt, das zwangsläufig scheitern musste. Um 1984 (mit 14 Jahren) entstanden erste erträgliche Stücke. Um 1988 hatte ich höchst nützlichen Unterricht in vierstimmigem Satz bei dem damaligen Kantor der Sankt-Andreas-Kirche in München-Fürstenried, Michael Schütz.
Als ich 16 oder 17 Jahre alt war, begutachtete Wilfried Hiller einmal zwei Klavierstücke von mir; er meinte, ich würde mich wahrscheinlich noch sehr weiterentwickeln und verändern, was auch absolut zutreffend war.
Nach dem Abitur folgte autodidaktische Fortbildung (parallel zum Studium). 1993 schrieb ich über Wochen hinweg nichts als Kanons und Fugen. Von 1992 bis 1996 verwendete ich oft kurze Reihen, die ich nach den Regeln der Kunst transformierte (Transposition, Krebsgang, Umkehrung). 1994 fiel die Entscheidung, hörbare Musik zu schreiben und schwer verdauliche Experimente bleiben zu lassen.
Bis heute habe ich ca. 100 Stücke geschrieben oder zumindest in einer Kurzschrift fast komplett durchskizziert: für Klavier, Harfe, Streichquartett, Orchester usw.
Ideen und Stile kommen und gehen …
Ein Mensch, der Musik schreibt, tut das meist nicht, weil er sie bewusst konstruiert. (Dass man heute Musik nach Belieben „konstruiert“, ist bekannt. Viel vom synthetischen Pop-Gedudel ist rein elektronisch aus der Computer-Retorte.)
Es ist eher so, dass man Musik vor dem unsichtbaren und unhörbaren Hintergrund gewisser Erfahrungen und Kenntnisse unbewusst konstruiert. Aber es kommt eben mehr dazu, ein gewisses Etwas, das viele Menschen nicht haben. Ob man das Inspiration oder Genie oder Einfallsreichtum oder Kreativität nennen will, spielt keine große Rolle. Nur wenn dieses eine Etwas noch hinzukommt, entsteht im Kopf neue Musik, bilden sich Klänge – wie von selbst.
Ein Komponist hört innerlich Klänge und er schreibt Musik, wie ein Apfelbaum Früchte trägt. Es geschieht einfach. Irgendwie ist das auch bei mir. Ein ordentlicher, studierter Komponist bin ich nicht, eher ein „unordentlicher“.
Alle Komponisten machen stilistische Entwicklungen in ihrem Leben durch. Man beginnt traditionell, quasi akademisch, arbeitet sich langsam vor, getrieben vom Bemühen, alle akademischen Pflichten (Kontrapunkt!) zu erfüllen, entdeckt dann völlige andere Musikstile (z.B. Jazz), die man selbst auch „beherrschen“ will, unternimmt einen Ausflug in die Filmmusik und so weiter. Einen solchen Weg habe ich auch hinter mir. Auf diese Weise haben sich im Laufe der Jahrzehnte Stücke in völlig heterogenen Musikstilen angesammelt, die von ganz unterschiedlichen Personen zu stammen scheinen.
Eines ist jedenfalls sicher: Man kann und darf schreiben, was man viel. Neu und gut muss es sein, und „gut“ bedeutet, dass es jemandem gefällt. Und noch niemals hat jemand etwas Neues geschaffen, indem er bereits Bekanntes bewahrte und fortführte.
Skizzen, Chaos und Computer
Die meisten Einfälle habe ich, wenn ich in Bewegung bin, beim Spazierengehen. Oft habe ich über Monate hinweg ununterbrochen Einfälle, die ich in meine Skizzenbücher notiere, sie werden mir quasi diktiert und ich habe Mühe, mit dem Notieren hinterherzukommen. Dann habe ich über Monate hinweg, wenn mich andere Themen okkupieren, überhaupt keine musikalischen Einfälle.
Zur Notation habe ich eine Art musikalische Stenoschrift entwickelt, und ich fürchte, dass das Wissen, was mit den kryptischen Notizen gemeint ist, mit mir eines Tages verschwinden wird. Mit Notizen auf Zetteln, Notenblättern und – seit ein paar Jahren systematischer – in kleinen chinesischen Notizbüchlein habe ich buchstäblich hunderte Seiten gefüllt.
Ein wirklich bedenkliches Problem besteht darin, dass ich viel zu wenig Zeit habe, die Berge von Notizen in fertige Stücke umzugießen. Seit 2008 übertrage ich die Notizen mit Hilfe des Computerprogramms Finale in Musikdateien. Es ist eine unglaublich mühselige Angelegenheit, Tausende von Noten zu schreiben, extrem zeitaufwendig und undankbar.
Wenigstens gibt es die praktische Erfindung der Klangbibliotheken: echte, gesampelte Klänge von echten Instrumenten, mit deren Hilfe man die Noten direkt in Klängen wiedergeben lassen kann.
Hobby statt Beruf, Spaß statt Stress
Das Musikbusiness ist knochenhart. Es gibt Tausende talentierter aufführender Musiker, unzählige Bands, Solisten, Tontechniker, PA-Leute hinter der Bühne. Extremer Konkurrenzdruck.
Das tagtägliche Üben, ein eher wenig entspanntes Musikstudium mit Prüfungen und Bewertungen endet in der Regel nicht in der großen Karriere, sondern im privaten Klavierunterricht, kleineren Jobs bei Aufführungen, unbezahlten Lehraufträgen oder als MusiklehrerIn an einer Schule. Ende des großen Musikertraums.
Bei Musikwettbewerben gewinnen bekanntlich auch nicht immer die möglicherweise besten, sondern (aufgrund der wohlbekannten netzartigen Beziehungsstrukturen der Beteiligten) die Schüler eines Professors XY, der einen ehemaligen Schüler als Juror im Komitee platziert hatte usw. Jeder, der mit diesem Business jemals zu tun hatte, weiß, wie das läuft. Noch schwieriger ist es, einen Kompositionspreis zu bekommen. Man darf davon ausgehen, dass in so manchen Fällen der Sieger feststeht, bevor die Stücke eingereicht werden.
Die Musikszene wird so unter einem kleinen, wohlvernetzten Kreis von Akteuren aufgeteilt wie ein Kuchen. Man lobt sich gegenseitig, belohnt sich gegenseitig und alles ist schön und gut – an der Oberfläche, die dem Publikum präsentiert wird.
Die Vorstellung, mit Kompositionen Geld verdienen zu wollen oder gar davon leben zu wollen, hatte ich zum Glück nie. So blieb alles Hobby (und das ist gut so).
Meinen Youtube-Kanal (seit dem 1. Februar 2018) findet man hier: https://www.youtube.com/channel/UCLoTQtiInIAv1F7_X9rqYqg
Keine Illusionen: „Ernste“ Musik heute
Man darf davon ausgehen, dass die Zeit anspruchsvoller Musik, die in der Tradition „klassischer“ und „moderner“ Musik geschrieben wird oder wurde, vorbei ist. Es gibt im Grunde kein Publikum mehr dafür – und zwar schon lange. Nehmen wir zum Beispiel die zeitgenössische Oper: Sie ist so tot, dass selbst intensive Reanimationsversuche mittels staatlicher oder privater Finanzspritzen wirkungslos sind. Das alles ist für Komponisten, die von ihren Werken wenigstens teilweise ihr Leben finanzieren wollen oder gar müssen, höchst ärgerlich.
Die Oper ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Kino abgelöst worden. Heute noch Opern zu kreieren ist so, als ob man statt mit einem Computer mit Federkiel und Tinte schreiben würde.
Aber es hilft nichts: Die Geschichte der klassischen Musik und ihrer Nachfolger ist zu Ende. Ohne Zuschüsse aus Steuergeldern oder Stiftungen wäre das Spiel vermutlich beendet.
Auch der Jazz hat in seiner kurzen Geschichte von etwas mehr als 100 Jahren sämtliche Stadien einer Kunstmusik durchlaufen und steht nun vor einem ähnlichen Problem wie die musikalische Moderne (inklusive Postmoderne, Post-Postmoderne usw.).
Die Situation der Musik, die in der langen Traditionslinie der „ernsten Musik“ (Mittelalter, Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, klassische Moderne) entstanden ist, entspricht etwa der Situation der Dichtkunst: Es gibt viele berühmte „Klassiker“, wenig neue Produktion, es wird immer wieder das Alte, „Große“, Bewährte aufgeführt. Ein zu zwei Dritteln grauhaariges Publikum mit immer höherem Durchschnittsalter füllt ein letztes Mal die Konzertsäle und Opernhäuser und hört sich zum 734sten mal die 5. Sinfonie von Beethoven an.